Forschungsschwerpunkte
Mein Forschungsschwerpunkt liegt methodologisch im Bereich der Dokumentarischen Methode und ist grundlagentheoretisch im Bereich der Praxeologischen Wissenssoziologie verortet. Die beiden Bereiche lassen sich als zwei Seiten derselben Medaille verstehen.
Wenn von der Dokumentarischen Methode die Rede ist, stehen die grundlagen- und erkenntnistheoretischen Begrifflichkeiten primär im Dienst der methodisch-methodologischen Bewältigung der empirischen Forschung. Dort, wo der Begriff Praxeologische Wissenssoziologie im Zentrum steht, kehrt sich dieses Verhältnis gleichsam um: Die Erfahrungen, welche auf der Grundlage empirischer Analysen gewonnen wurden, und deren methodische Reflexionen stehen dann primär im Dienst der begrifflich-definitorischen Vergewisserung, der Vertiefung der Grundlagentheorie sowie auch der Generierung neuer Kategorien.
Methodisch-methodologische Schwerpunkte
Im Zentrum steht die fortschreitende Elaboration unterschiedlicher methodischer Zugänge und ihrer Triangulation (Kombination und Integration) auf der Grundlage einer rekonstruktiv-praxeologischen Methodologie, also der Dokumentarischen Methode. Diese differenziert sich in die folgenden Schwerpunkte:
- Dokumentarische Gesprächsanalyse, insbesondere das Gruppendiskussionsverfahren. Diese Verfahren tragen der Eigengesetzlichkeit des Interaktionssystems Rechnung, welche nicht auf die Einzelbeiträge und Intentionen der Teilnehmer*innen reduziert werden kann.
- Dokumentarische Bildinterpretation, welche – u.a. im Anschluss an kunsthistorische und bildwissenschaftliche Überlegungen – der Eigenlogik des Bildlichen auf der Grundlage der Rekonstruktion der formalen Gesamtkomposition im Bereich der Analyse von Fotos, Zeichnungen und Artefakten Rechnung trägt.
- Dokumentarische Video- und Filminterpretation als komplexe Methodik der Verbindung von Bildinterpretation und Gesprächsanalyse, welche die umfassende Analyse der Relation von verbalen und korporierten Praktiken ermöglicht.
- Die Formalstruktur oder Formalpragmatik von Gesprächen ist auf der verbalen Ebene unter dem Begriff Diskursorganisation umfassend ausgearbeitet worden und auf der Basis von Videoanalysen konnte unter dem Begriff der Interaktionsorganisation zunehmend auch die nonverbale oder korporierte Ebene integriert werden. Dies stellt u.a. auch die Grundlage für Analysen von Fremdrahmung und Macht dar.
- Im Bereich der Fotointerpretation wie auch der Video- und Filmanalyse gilt es, das Verhältnis von Abgebildeten (denjenigen vor der Kamera) und Abbildenden (denjenigen hinter Kamera) in seinen Konsequenzen im Hinblick auf die Gestaltung des Bildlichen und u. a. auch den darin implizierten sozialen (Macht-) Verhältnissen zu rekonstruieren.
- Die Dokumentarische Methode geht über die in der qualitativen Forschung üblichen Fallanalysen hinaus und strebt Generalisierungen an, die auf der Grundlage der Bildung von (Ideal-) Typen, der praxeologischen Typenbildung, möglich werden, die eine mehrdimensionale Analyse voraussetzt.
Diese Zugänge und ihre methodologische Grundlage haben breite transdisziplinäre Anwendung gefunden – innerhalb der Sozialwissenschaften und darüber hinaus. Da eine vertiefte Aneignung von Methoden die Einübung in eine Forschungspraxis voraussetzt, habe ich sie vorzugsweise im Rahmen von Forschungswerkstätten vermittelt. Dabei war ich – mit einem Schwerpunkt in der Erziehungswissenschaft – an der transdisziplinären Zusammensetzung der Forschungswerkstätten für Graduierte innerhalb der gesamten Sozialwissenschaften und darüber hinaus orientiert.
Grundlagentheoretische Schwerpunkte
Die fortschreitende Elaboration der Grundbegriffe der Praxeologischen Wissenssoziologie findet ganz wesentlich in kritischer Auseinandersetzung mit dem »Ethnozentrismus des Gelehrten« (Bourdieu) statt, das heißt mit dem unzureichenden oder fehlenden Zugang einer rationalistischen sozialwissenschaftlichen Theoriebildung zur Eigenlogik der alltäglichen Praxis. Im Unterschied zu Bourdieu operiert die Praxeologische Wissenssoziologie allerdings auf der Grundlage der empirischen Rekonstruktion des in dieser Praxis implizierten handlungsleitenden Wissens, des »atheoretischen« Wissens (Mannheim). Auf der Basis der Mannheim’schen Wissenssoziologie integriert die Praxeologische Wissenssoziologie Bezüge zur Ethnomethodologie (Garfinkel), Sozialphänomenologie (Schütz) und Kultursoziologie von Bourdieu, ebenso wie zur Identitätstheorie von Erving Goffman und der Systemtheorie von Niklas Luhmann.
- Im Zentrum steht dabei nicht allein der Modus Operandi des praktischen Handlungsvollzugs (Habitus), sondern auch das Verhältnis der Praxis zu den Erwartungen und Imaginationen der Erforschten, insbesondere solchen normativer Art. Dieses Spannungsverhältnis, welches sich schlagwortartig als ein solches von Habitus und Norm fassen lässt, bezeichne ich generell als dasjenige von performativer versus propositionaler Logik.
- Im Spannungsverhältnis von Norm und Habitus, von propositionaler und performativer Logik konstituiert sich der konjunktive Erfahrungsraum. Dieser Begriff steht wie auch derjenige des Orientierungsrahmens, welchen ich weitgehend synonym zum Begriff des Habitus verwende, im Zentrum der Kategorien der Praxeologischen Wissenssoziologie. Es ist diese Kategorie mit ihrer Differenzierung in gesellschaftliche, organisationale und interaktive konjunktive Erfahrungsräume oder auch Milieus, welche es der Praxeologischen Wissenssoziologie ermöglicht, auf allen drei Ebenen und in deren Relation zueinander zu operieren – im Sinne einer Mehrebenenanalyse.
- Der weitgehend unzureichende oder fehlende Zugang der Sozialwissenschaftler*innen zur performativen Eigenlogik der Praxis führt erkenntnistheoretisch zu einer defizitären Betrachtung dieser Praxis vor dem Vergleichshorizont rationalistischer Unterstellungen im Sinne einer „Hierarchisierung des Besserwissens“ (Luhmann).
- Diese defizitäre Betrachtung findet sich unter anderem auch in der Professionalisierungsforschung und in deren Bild der Praktiker*innen. Hier habe ich neue Perspektiven auf die Praxis im Bereich der People Processing Organizations (insbesondere Lehramt, Frühpädagogik und Soziale Arbeit) zu entwickeln versucht
- Meine neuere Auseinandersetzung mit dem rationalistischen sozialwissenschaftlichen Diskurs ist auch in der Hinsicht von Bedeutung, dass dieser Diskurs zur eigenen empirischen Forschungspraxis ebenfalls einen nur unzureichenden oder inadäquaten Zugang zu gewinnen vermag. Dies hat erhebliche Konsequenzen für die Methodologie und die Erkenntnistheorie.
Gegenstandsbereiche der Forschung
Das Spektrum der von mir im Verlauf meiner wissenschaftlichen Entwicklung bearbeiteten Gegenstände ist breit gestreut – insbesondere, wenn ich die von mir im Rahmen meiner Forschungswerkstätten betreuten Dissertationen und Habilitationsschriften einbeziehe. Deren Spektrum ist transdisziplinär angelegt und reicht über die Sozialwissenschaften hinaus bis hin zur Informatik, Medizin und theologischen Bibelexegese. Bis zur Jahrtausendwende bildete die eigene Forschung im Bereich von Jugend und Adoleszenzentwicklung sowie Jugendkriminalität den Schwerpunkt. Wobei die systematische Überschreitung der etablierten Grenze zwischen Jugendforschung und Kriminologie resp. Kriminalsoziologie in Projekten zu Hooligans und Rockbands sowie Jugendlichen türkischer Herkunft bereits als ein Beitrag zur Transdisziplinarität gelten kann. Im Zentrum dieser DFG-Projekte stand die adoleszenz-spezifische Suche nach gesellschaftlicher Milieuzugehörigkeit im Sinne bildungs-, geschlechts- und generationaler Milieus in den jugendlichen Peer-Groups.
Während bis zur Jahrtausendwende die Erforschung gesellschaftlicher Milieus im Zentrum stand, begann danach eine stärkere – in meiner Dissertation allerdings auch bereits angelegte – Hinwendung zu organisationalen Milieus, insbesondere im Bereich der People Processing Organizations. Diese findet ihre Ausprägung u.a. in der Evaluationsforschung sowie derjenigen der Beziehung von beruflichen Akteurinnen und Ihrer Klientel in der Schule, in Frühpädagogik und Sozialer Arbeit, also der Professionalisierungsforschung. Diese Gegenstandsbereiche wurden wesentlich durch die Projekte der Teilnehmerinnen meiner Forschungswerkstätten beeinflusst. Im Gegenstandsbereich der Professionalisierung gewinnt die im Zentrum meiner Arbeit stehende Entwicklung einer praxeologischen Grundlagen- und Erkenntnistheorie ihre besondere praktische Relevanz.